Artikel vom 28.10.05, Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern

 

Kantonsräte meinen.. von Lisette Müller-Jaag, Knonau

Ein Tag nicht wie jeder andere

Mit dem neuen Arbeitsgesetz, das am 27. November zur Abstimmung kommt, soll in den Bahnhöfen und Flughäfen am Sonntag generell alles verkauft werden können. Neben Lebensmitteln und Gütern für den Reisebedarf würden dann sonntags auch Kleider, Schuhe, Computer, Werkzeug, Fernseher, Möbel und –wände angeboten, kurz: alles, was die Konsumgesellschaft für unser Glück bereithält. Zusätzlich dürften am Sonntag an den Bahnhöfen Dienstleistungsbetriebe wie Banken, Versicherungen, Post, Vermögensberater, Graphiker, Therapeuten, Kosmetikstudios und andere ihre Kunden bedienen. Was ist dagegen schon einzuwenden? Schliesslich sind wir globalisiert und waren auch schon froh, am Sonntag ein Brot zu kaufen oder den Proviant für den spontanen Ausflug.

Mir macht die Vorlage allerdings schon Sorge, ist sie doch der erste Schritt zur amerikanischen Shoppingkultur, rund um die Uhr geöffnet, sieben Tage pro Woche, inkl. Weihnachten. Eins steht jedoch fest: sich tagaus tagein in Einkaufsparadiesen herumzutollen, macht Menschen nicht glücklicher. Um das zu erkennen, braucht es nicht einmal den Blick in bestehende Studien. Es genügt ein Abtauchen in den eigenen Erinnerungsschatz. Denn dort finden wir Geschichten, die nur in sonntäglicher Ruhe entstehen konnten.

Worüber wir abstimmen betrifft nicht nur unsere persönlichen Sonntagsgewohnheiten. Einschneidende Konsequenzen hätte die Annahme des Arbeitsgesetzes auch für das Verkaufspersonal. Denn der Ständerat beauftragte den Bundesrat bereits damit, eine gesetzliche Grundlage für die Sonntagsarbeit im gesamten Verkaufs- und Dienstleistungsbereich auszuarbeiten, also in allen Geschäften, unabhängig vom Standort. Im gleichen Sinne entschied die Kommission des Nationalrates. Und der Bundesrat sieht sogar für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur noch einen einzigen freien Sonntag im Monat vor, der zudem nicht einmal regelmässig jeden Monat gewährt werden müsste. Freundschaft, Gemeinschaft, Familienleben sind Qualitäten, die sich nicht kaufen lassen, sondern nur dort wachsen können, wo es Zeit- und Ruheinseln gibt. Das erkannten alle Kulturen und Religionen. Ohne Sonntage hat das Leben nur noch Werktage. Die sehr wichtige Zeit für die Pflege des Zusammenhalts, als Tag der Suche nach Sinn geht verloren. Auch das religiöse Leben wird beeinträchtigt. Für mich persönlich wird der Sonntag entweiht, mein Ruhetag. „Gib dem Sonntag eine Seele“ sagte ein Kirchenpfleger vor vielen Jahren in einem Gottesdienst in Steinhausen. Und er kehrte den Satz auch um und riet: „Gib der Seele einen Sonntag“ Wie recht er hatte und wie oft ich – besonders an Sonntagen - daran denken muss. Der Sonntag schafft ein Time-out, wie ich es die ganze Woche nicht erlebe. Zur Ruhe kommen, ausruhen, auftanken - ein Geschenk an mich, nicht eine Verpflichtung. Ich kann die geschenkte Zeit für all das brauchen, was mir und anderen Freude macht. Der Sonntag ist für mich ein Gefäss für Lebensqualität und ich bin immer wieder dankbar, dass es ihn gibt. Und den möchte ich mir, den Verkäuferinnen und Verkäufern, vielen anderen, und unserer Gesellschaft erhalten. Daher lehne ich das neue Arbeitsgesetz ab.

Auch bei einer Ablehnung können Sie am Sonntag in den Bahnhöfen und Flughäfen Lebensmittel, Zeitungen, Bücher, Medikamente, Reisebedarf und Touristenartikel einkaufen. Ebenso bleiben die Tankstellen-Shops und Kioske offen. Und wer viel lieber am Sonntag arbeiten möchte wird sich recht mühelos für den Sonntag einteilen lassen können. Auch die Probleme einiger Bahnhofgeschäfte, die über das erlaubte Sortiment hinaus Waren angeboten haben, lassen sich lösen, ohne dafür den Sonntag einem ganz gewöhnlichen Werktag opfern zu müssen. Weniger als 50 von 650 sonntags geöffneten Bahnhofsläden müssten ihr Sortiment anpassen weil es nicht bahnhoftypisch ist, wenn sie nicht nur werktags, sondern auch weiterhin am Sonntag öffnen wollen. Und falls sie dies tun, bleiben die Arbeitsplätze erhalten. Wir haben es in der Hand, ob wir den Sonntag für unsere Kinder und Enkel bewahren wollen. Wir können dafür sorgen, dass die Sonntagsarbeit auf das Notwendige beschränkt bleibt. Der Sonntag soll uns als Tag des Zusammenseins, als Oase in der Hektik des Alltags erhalten bleiben. An welche besonderen Sonntage erinnern Sie sich?

Lisette Müller-Jaag, Kantonsrätin EVP


 
  14-Feb-2011 aktualisiert