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Artikel vom 19.11.04, Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern
Kantonsräte meinen.. von Lisette Müller-Jaag, Knonau
Verkehrsunterricht als polizeiliche Aufgabe
Erinnern Sie sich? Wie Sie damals als Kind in Gruppen an der Kreuzung standen und ganz allein die Strasse überqueren mussten? Wie Ihre kleinen Füsschen fast feierlich über die gelben Streifen schritten? Herr Witschi hiess er, „unser“ Polizist. Er trug eine schmucke Uniform und beeindruckte mich mächtig. Er war der Torwächter zur gefährlichen Welt des Verkehrs, aus der er mich mit seinem Zauberspruch „Luege, lose, laufe, länger läbe“ sicher wieder herausführte. Später, gegen Ende der Primarschule durften wir im Verkehrspark am Bucheggplatz auch richtiges Velofahren üben. Wie stolz wir waren, danach sogar zur Veloprüfung antreten zu dürfen. Dass ich mir mein Velo zuvor mit mehreren Göttibatzen für Weihnachten und Geburtstage sowie durch sauer gespartes Taschengeld selber erstanden hatte, gab dem Ganzen eine zusätzliche Wichtigkeit.
Seit damals hat sich vieles verändert. Unsere heutige Welt ist geprägt vom Strassenverkehr. Wir sind mobil, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit Privat- und Firmenautos, mit Motorrädern, Velos, Trottinetts, Rollerblades und anderen fahrbaren Untersätzen – und zu Fuss. Und Generationen von Kindern haben im Verkehrsunterricht gelernt, nicht nur auf den Schutzengel zu setzen, sondern sich auch an den rettenden Zauberspruch zu erinnern.
Jährlich verunfallen 3000 Fussgängerinnen und Fussgänger. Viel zu oft sind es Kinder. Ohne die Männer in ihren schmucken Uniformen wären es bestimmt noch mehr. Verständlich, dass mit gesundem Menschenverstand kaum jemand an die Abschaffung der Verkehrsinstruktion denkt. Würde man wenigsten meinen.
Doch offenbar kann übermässige Sparwut diesen Verstand zuweilen ausser Gefecht setzen. Anders ist es kaum erklärbar, dass der Kanton Zürich ausgerechnet bei den Verkehrinstruktoren sparen will. Die Finanzen würden leider nicht ausreichen, lautet die lapidare Begründung, und eine gesetzliche Grundlage für den Verkehrsunterricht fehle. Sparübungen sind notwendig, kein Zweifel. Aber beim Verkehrsunterricht zu sparen und gleichzeitig die Grundbuchgebühren zu reduzieren, ist eine merkwürdige Art, Prioritäten zu setzen.
Wie viel lässt sich eigentlich beim Verkehrsunterricht sparen? Die Direktion für Sicherheit und Soziales spricht von 2 Mio. Franken jährlich. Im Budget 2005 sind diese Ausgaben bereits gestrichen, ersatzlos. Und die Kantonspolizei teilte mir als Schulpräsidentin anfangs Oktober mit, dass die Verträge mit den Schulgemeinden betr. Verkehrsinstruktion per 1.8.2005 gekündigt werden. Man hoffe aber, dass die Gemeinden diese Aufgabe ab kommendem Schuljahr selber wahrnehmen. Die Kantonspolizei biete 14-tägige Gratiskurse für angehende Verkehrsinstruktor/innen an, Interessierte könnten sich bis Ende Januar 05 bei der Kapo melden. Peinlich. Das entsprechende Inserat ist nach Aussage der zuständigen Direktion inzwischen wieder von der Website verschwunden.
Nicht verschwunden sind jedoch die Bilder von damals, als ein Polizist noch ein Polizist war, eine Respektperson in Uniform. Und glauben Sie nicht auch, dass Zaubersprüche stärker wirken, wenn sie von richtigen Zauberern gesprochen werden? Rätselhaft, dass die Polizei es zulässt, einen so positiven Erstkontakt zu verscherbeln. Die Polizei kann ihre schwierige Aufgabe sehr viel einfacher erfüllen, wenn wir das Bild vom Freund und Helfer in unserer Erinnerung haben. Selbst teure Imagekampagnen erreichen die Kraft solcher Bilder nicht. Respekt lernen wir in der Kindheit.
Im Rahmen der ersten Lesung zum neuen Polizeiorganisationsgesetz POG ergänzte es der Kantonsrat am 26. Oktober, deklarierte den Verkehrsunterricht als polizeiliche Aufgabe und wies die Zuständigkeit primär den Stadt- und Gemeindepolizeien zu. Wo eine solche fehlt oder diese Aufgabe lieber abgetreten wird, können die Schulgemeinden den Verkehrunterricht durch die Kantonspolizei erteilen lassen und diese nach Aufwand bezahlen. Gemäss Lehrplan liegt der Verkehrunterricht ja in der gemeinsamen Verantwortung der Lehrkräfte und der Verkehrsinstruktoren der Polizei.
Die Konferenz der Schulpräsidentinnen und Schulpräsidenten hat den entsprechenden Bedarf an ihrer jüngsten Versammlung bereits eruiert und festgestellt, dass 120 Schulgemeinden diesen Dienst weiterhin von der Kantonspolizei in Anspruch nehmen wollen.
Der Kanton beabsichtigt, eine Fachstelle für Verkehrsunterricht aufzubauen, welche die Stadt- und Gemeindepolizisten sowie die neuen Verkehrsinstruktoren in ihrer Arbeit unterstützen und mit Arbeitsmaterialien ausrüsten. Die 2. Lesung des POG steht noch bevor. Gleichzeitig ist auch noch ein dringlich erklärtes und mit 113:18 Stimmen überwiesenes Postulat im Kantonsrat hängig, das die Weiterführung des Verkehrsunterrichts durch die Kantonspolizei verlangt. Wir dürfen gespannt sein, welche Lösung schliesslich zum Tragen kommt. Da ja keine Partei im Kantonsrat die Abschaffung unterstützte, darf die Haltung der zuständigen Direktion schon etwas erstaunen. Zudem schuldet die Regierung noch den Beweis, dass sich die von ihr vorgeschlagene Abschaffung und Neuorganisation des Verkehrsunterrichts als Sparmassnahme bewährt und auch unter dem Strich und längerfristig auszahlt.
Wenn sich der gesunde Menschenverstand durchsetzt, werden wir auch in Zukunft Polizisten und Kindergruppen am Strassenrand sehen. Und wenn wir die Ohren spitzen, hören wir vielleicht: Luege, lose, laufe, länger läbe.“ Das wäre schön.
Knonau, November 2004 Lisette Müller-Jaag, Kantonsrätin EVP, Knonau
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