|
Artikel vom 28.11.03, Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern
Kantonsräte meinen.. von Lisette Müller-Jaag, Knonau
Wer an der Bildung spart, spart an der Zukunft..
Das stimmt. Mit dieser Volksweisheit wenden sich Primarlehrer/innen und besorgte Eltern aus Bonstetten mit einem offenen Brief an den Kantonsrat (Anzeiger vom 14.11.03). Als direkt Angesprochene antworte ich gerne, weshalb ich diese Sorgen teile. Die grosse Kundgebung auf dem Platzspitz habe ich miterlebt, und täglich erhalte ich Briefe, Mails oder Telefonate. Protestbewegungen stossen in unserem Land nur selten auf breite Sympathie. Doch das Schulwesen scheint uns am Herzen zu liegen. Im ganzen Kanton befassen sich die Menschen mit Bildung und ihren Erfordernissen und erkennen, dass wir uns mit übertriebenen Sparübungen den eigenen Ast absägen. Ich setze mich auch als Kantonsrätin für die Schule ein und hoffe dass wir aufwachen, bevor wir auf den harten Boden krachen.
Die Anhebung der Klassengrössen macht das Unterrichten schwieriger. Und die Abschaffung oder Reduktion von Werte- und Persönlichkeits- bildenden und musischen Fächern halte ich für falsch. Wer unsinnige Klassengrössen gerne mit den guten alten Zeiten Pestalozzis begründet, ruft den falschen Zeugen an. Gerade Hand und Herz kommen dann zu kurz. Wer die alten Zeiten heraufbeschwört, sollte sich auch an die damals herrschenden Unterrichtsformen erinnern. Die Welt war früher etwas weniger kompliziert als in der heutigen Informations- und Konsumgesellschaft. Oft haben wir schon Mühe mit der Individualität unserer eigenen Kinder - wer wollte sie ihnen nehmen? Die Schulklassen wurden nicht einfach kleiner, weil die Lehrkräfte weniger arbeiten wollten. Die Arbeit nahm gegenüber den guten Zeiten sogar zu. Die Klassen wurden kleiner, weil Lehrstoff und pädagogische Erkenntnisse und vielleicht auch das soziale Verhalten dies erforderten. Mehr Schüler und weniger Lektionen? Dazu Lernformen, die für kleine Klassen geschaffen wurden. Das kann nicht gut gehen. Ernten müssten die Früchte dereinst die Universitäten, unsere Gesellschaft, der Wissensstandort Schweiz.
Sich über solch unsinnige Sparvorschläge zu ärgern und zu sorgen, ist eine natürliche Reaktion. Doch überlegt man sich auch, warum wir sparen müssen? Und warum jetzt? Eine plausible Erklärung ist sicher die wirtschaftliche Lage der letzten Jahre. Sie führte zu einer zunehmenden Staatsverschuldung. Dass diese Verschuldung nicht ungebremst anschwellen darf, leuchtet ein. Wir werden also vermehrt und aufmerksamer auf jede Ausgabe schauen müssen. Zurückhaltung ist Gebot. Zu den natürlichen Reaktionen in schwierigeren Zeit gehört aber auch, dem Vorhandenen Sorge zu tragen. Daher ist es wenig einleuchtend, ausgerechnet jetzt den verbleibenden Schatz zu verschenken und damit die Knappheit an Geld künstlich zu erhöhen. Man kann es nennen, wie man will, Steuersenkungen haben genau diesen Effekt. Dass Steuersenkungen den Konsum fördern und damit die Wirtschaft und auch Steuereinnahmen, hat eine verführerische Logik. Allerdings geht sie nicht immer auf, macht vieles kaputt und ist bei anziehender Konjunktur nicht unbedingt nötig. Wer eine Steuersenkung um 17% propagiert - für wen eigentlich? -, der betreibt Politik als abenteuerliches Spiel, bei dem die Sieger bereits feststehen. Auch die "moderatere" Version mit 5%, wie sie im März durch die bürgerliche Mehrheit im Kantonsrat beschlossen worden ist, führt zu einem Zusatzloch in der Zürcherischen Staatskasse von mindestens 200 Millionen.
Eine weitere Senkung um 2% verlangt die SVP-Initiative und will diesen Tiefststeuersatz gar in der Kantonsverfassung festschreiben. Durch die kürzliche Abschaffung der Erbschaftssteuer entfallen etwa 400 Millionen Franken pro Jahr. Mit der Abschaffung der Handänderungssteuer gehen den Gemeinden gegen 120 Millionen Franken verloren. Und wo etwas verloren geht, fehlt etwas. So einfach ist das. Der Staat muss so viel sparen, weil wir leichtfertig Geld verschenken. Das Resultat sind die vorliegenden Sanierungsmassnahmen. Und wenn wir uns nicht mit dem Stimmzettel dagegen wehren, werden uns noch schmerzhaftere Sparübungen bevorstehen.
Die Sparmassnahmen betreffen keineswegs nur die Bildung. Jede Direktion ist betroffen, empfindliche Einsparungen gibt es in allen Bereichen. Im Alters- und im Pflegebereich, bei der Sozialhilfe, bei der Strafverfolgung, in der Land- und Forstwirtschaft, beim Umweltschutz, beim Verkehr und vielem anderem muss wegen fehlender Steuereinnahmen übermässig gespart werden. Die Einsparungen mögen kurzfristig vielleicht greifen, langfristig werden jedoch heute schon klar ersichtliche Nachteile und höhere Kosten auf uns zukommen Das verdriesst, weckt Unmut. Doch der Regierungsrat hat lediglich seine Hausaufgaben gemacht. Wenn er nun konkrete Vorschläge vorlegt, dann erfüllt er einfach seinen Auftrag. Der unzufriedene Bürger müsste sich also nicht gegen den Regierungsrat auflehnen, sondern gegen steuersenkende Politiker. Denn diese haben die heutige Misere zu verantworten, sie haben andere Prioritäten und geben persönlichen Interessen den Vorzug. Steuersenkungen sind im Wahljahr ein dankbares Mittel, um die Gunst der Wählerschaft zu erhaschen. Fatal ist nur, dass man Steuersenkungen beschliessen kann, ohne aufzeigen zu müssen, wo gespart werden soll. Den Ball einfach weiter zu geben, ist gegen demokratische Spielregeln.
Notlagen zwingen zum Nachdenken, was bekanntlich nicht schlecht ist. Die eine oder andere Anpassung ist bestimmt notwendig. Wenn aber bewährte Errungenschaften fahrlässig der Sparwut geopfert werden, müssen wir Gegensteuer geben. Vor einem Jahr lief der Protest gegen das Volksschulgesetz. Ähnliche Ängste kamen damals zum Zug. Die Abfuhr hat der Zürcher Schule geschadet, wären doch bei der Annahme verbindliche gesetzliche Grundlagen geschaffen worden, die die heutigen schulischen Sparmassnahmen nicht so leicht gemacht hätten. Zur Schule gehört nicht nur das 1x1. Zur Bildung gehört das Wissen um unsere Herkunft, unsere Traditionen, unsere Regeln und Werte. Und wer aus Sparwut will, dass z.B. die Angebotspflicht von Religionsunterricht an der Volksschule gestrichen wird, muss sich die Frage gefallen lassen, wer kommenden Generationen dieses Wissen erzählen soll. Auch bei den drei kirchlichen Vorlagen wird mit Steuerargumenten und mit Falschaussagen argumentiert. Mit den Kirchenvorlagen wird ein zeitgemässes Modell für die Partnerschaft zwischen Kirche und Staat geschaffen. Und erneut bleiben uns die Steuersenker die Antwort schuldig, wer nach einem Kahlschlag das Land bebauen und säen soll.
Antworten lassen sich auch mit dem Stimmzettel geben. Der zunehmende Protest stimmt mich zuversichtlich und lässt hoffen, dass die Wählerinnen und Wähler weiteren Steuersenkungen und Steuergeschenke ihre Zustimmung verweigern, dass sie umsichtig erarbeitete und zukunftsträchtige Gesetzesvorlagen nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, dass sie sich persönlich engagieren und mit ihren Ideen mehr zur Zukunft unserer Gesellschaft beitragen als sparwütige Politiker.
|
|