Artikel vom 04.06.04, Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern

 

Kantonsräte meinen.. von Lisette Müller-Jaag, Knonau

Schöne Pfingsttage 2020.

Prachtvolle Pfingsttage liegen hinter uns, farbenfroh die Wiesen und Gärten – eine wahre Augenweide. Das Postkartenwetter gab unseren herrlichen Landschaften den Glanz, auf den wir auch ein bisschen stolz sein dürfen. Mit geliebten Orten verbinden wir gerne Jugenderinnerungen. Wir brauchen solcher Bilder, um auch in trüberen Tagen die Zuversicht nicht zu verlieren. Das ist bei der kommenden Generation nicht anders. Zugegeben, eine Idylle hält dem Blick durch die Lupe nie stand. Aber nur die Vorstellung einer friedlichen, sicheren und gesunden Welt treibt uns dazu an, der Welt, so wie sie uns gegeben wurde, Sorge zu tragen.

Wer zu etwas Sorge trägt, ist aktiv und daher weit mehr als bloss besorgt. Wenn ich mich in letzter Zeit wieder stärker mit unserer Energieversorgung beschäftige, so liegt der Grund nicht zuletzt darin, dass wir die Verantwortung übernommen haben, auch den Kindern eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen. Nicht indem wir das Rad der Zeit zurückdrehen und all die technischen Errungenschaften verteufeln, sondern indem wir Lösungen für die Zukunft finden. Auch im Kantonsrat ist die langfristige Stromversorgung bereits ein Thema. Ein dringliches Postulat verlangt einen Bericht über die Sicherstellung der Stromversorgung nach 2020 ohne Gebrauch von Atomstrom. Gleichzeitig wollen mir ins Haus flatternde Informationsschreiben irgendwelcher Interessengruppen weismachen, ohne neue Atomkraftwerke sei die künftige Stromversorgung nicht gesichert, mit der Planung eines neuen Atomkraftwerks müsse unverzüglich begonnen werden.

Das sehen allerdings nicht alle so. Aber dem Leserforum der Coop-Zeitung war zu entnehmen, dass über Alternativen zu Atomkraftwerken wenig bekannt ist. Das veranlasste mich zum Nachfragen bei verschiedenen Fachleuten. Das Ergebnis ist klar und vielleicht für viele verblüffend: Es ist möglich. Wir brauchen kein neues AKW, können sogar Beznau I + II und Mühleberg abschalten, ohne auf Küchengeräte, Computer und Musikanlagen verzichten zu müssen. Wie im Bericht der Energiestiftung steht, können wir dank neuer Technologien die erneuerbaren Ressourcen viel wirkungsvoller als früher nutzen. Und wenn wir noch etwas bewusster mit unserem Verbrauch umgehen, sind Atomkraftwerke nicht notwendig, neue schon gar nicht.

Der Bau eines Atomkraftwerks ist eine teure Angelegenheit. Bereits sein Bau verschlingt einen Viertel der gesamten Energiemenge, die es während seiner Lebensdauer produziert. Welch unsinniger Aufwand. Zudem ist und bleibt der Betrieb eines Atomkraftwerks ein gefährliches Risiko. Wer den Reaktorunfall von Tschernobyl als kommunistische Schlamperei abtut, macht es sich zu einfach. Sieben Jahre vorher wäre es im Hightechland Amerika um Haaresbreite zu einer noch grösseren Katastrophe gekommen. Atomenergie bleibt ein Spiel mit dem Feuer. Tschernobyl ist 2000 km von hier entfernt. Trotzdem durfte man keinen Kopfsalat aus dem Tessin mehr essen. An die Bilder der kranken und verstümmelten Kinder im stark verseuchten Gebiet möchte ich gar nicht erinnern. Zwar glaube auch ich, dass bei uns die Verantwortlichen das Menschenmögliche für die Sicherheit machen. Aber eben „nur“ das Menschenmögliche. Und wenn Menschen versagen oder Terroristen durchdrehen? Doch selbst wenn alles gut geht, was wir nur hoffen können, bleibt die Entsorgung der höchst gefährlichen radioaktiven Abfälle ungelöst. Sie einfach in ein Land zu exportieren, das harte Franken braucht, kann es ja auch nicht sein. Zumindest für die Welt nicht. Mir machen solche Szenarien Sorge.

Die Bundesverfassung sagt in der Präambel: dass sich „Das Schweizervolk und die Kantone, in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung,“ und „im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen“ sich die nachfolgende Verfassung geben. In dieser ist dann in den Artikeln 73ff die Nachhaltigkeit festgehalten und der Umweltschutz. Zur Energiepolitik ist in Artikel 89 zu lesen: „Bund und Kantone setzen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten ein für eine ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung und für einen sparsamen und rationellen Energieverbrauch.“

Ich bin froh, dass „wir“, das Volk, in unserer Bundesverfassung festgelegt haben, der Schöpfung Sorge zu tragen, dass wir 1998 das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit ernst nahmen. Doch die Verfassung ist letztlich nur ein Papier, wenn wir sie nicht als Handlungsanweisung auffassen. Wenn in letzter Zeit der Begriff der Eigenverantwortung wieder salonfähig wurde, so gilt dies selbstverständlich auch für den Umgang mit der Energie. Er müsste weniger verschwenderisch sein. Mehr nutzen dürfen wir aber vorhandenes Wissen und neue Technologien. Wenn wir unsere geistigen Ressourcen einsetzen und die Finanzen in Zukunftslösungen umleiten, bin ich zuversichtlich, dass die Stromversorgung auch nach 2020 gesichert ist, ohne Atomstrom. Ja, ich denke es muss so sein, denn sonst hätten es sich Österreich und Deutschland kaum geleistet, auf Atomstrom völlig zu verzichten. Und wunderbarerweise hat dieser Verzicht den beiden Volkswirtschaften keineswegs geschadet.

Es ist bekannt, dass Sonne, Wind, Wasser, sowie auch Holz zur Verfügung stehen und riesige Energiemengen produzieren können. Es sind dies allesamt einheimisch nutzbare und erneuerbare Energiequellen. Bereits heute wird ein Teil des Strom- und Wärmebedarfs auf diese Weise produziert, auch bei uns im Säuliamt. Und viele Einwohner/innen im Kanton Zürich verstehen unter Eigenverantwortung auch, einen leicht höheren Verbrauchspreis für Solarstrom zu entrichten oder mit vernünftiger Gebäudeisolation und einem bewussten Umgang den Verbrauch zu drosseln. Die Menschen sind sehr wohl fähig, sich für das Gute zu entscheiden. Und sie sind offensichtlich auch bereit etwas dafür zu bezahlen. Sie haben verstanden, dass fossile Brennstoffe in naher Zukunft zu Ende gehen und dass Entwicklung und Gebrauch erneuerbarer Energien für die kommende Generation überlebenswichtig werden. Es braucht also den Mut zur Erneuerung und die Weisheit des Verzichts auf Atomstrom, damit uns hohe Lebensqualität und solch prachtvolle Pfingsttage nicht nur auf Ansichtskarten erhalten bleiben.

Knonau, 2. Juni 2004, Lisette Müller-Jaag, Kantonsrätin EVP, Knonau



 
  14-Feb-2011 aktualisiert