Artikel vom 11. Februar 2011, Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern

 

Kantonsrätinnen meinen.. von von Lisette Müller-Jaag,

He, dich kenn’ ich doch!

Kann Politik ergreifend und lebendig sein? Aber sicher! Genau das wurde spürbar am letzten Sonntag in der Knonauer Bibliothek, als die ehemalige Stadträtin Monika Stocker aus ihrem Büchlein „He, dich kenn ich doch!“ vorlas. Lauter kurze Erzählungen von Begegnungen mit Menschen, persönliche Erfahrungen von ihrer Tätigkeit als Sozialvorstand einer Grossstadt. Da erinnert uns Politik plötzlich wieder an unsere Lebensgeschichten. Wir erleben unsere eigenen kindlichen Ängste, wenn wir hören, dass ein 9-jähriger Junge drei Tagen allein zu Hause auf seine Mama wartet. Und wir erschrecken mit ihm, wenn er nach so vielen Stunden erfährt, dass seine Mutter ausgeschafft wurde. Wir empfinden Mitleid mit einem Unternehmer, der ohne eigenes Verschulden alles verliert und dort landet, wo „nur die andern“ hingehören. „Wer in Not gerät, soll sich auf den Staat verlassen können“, sagte Monika Stocker. Und „bei uns muss niemand hungern“ ist mehr als ein politisches Programm, wenn es um reale Lebensgeschichten geht. Schlagworten wie Staatsbankrott, Missbrauch oder Skandal steht der spürbare Segen professioneller Sozialarbeit gegenüber.

Auf diesen Staat dürfen wir stolz sein. Doch wir müssen ihm und damit uns allen auch Sorge tragen, weil sich unsere 160-jährige Demokratie bewährt hat. Als Bürger können wir uns frei bewegen, unsere Volksvertreterinnen und –Vertreter frei wählen und in Abstimmungen frei mitentscheiden. In Ägypten setzen sich in diesen Tagen Tausende von Menschen für einen Machtwechsel ein, für einen Aufbruch in eine demokratische Welt. Würden diese Demonstranten verstehen, warum bei uns nicht mal die Hälfte von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen? Viele bei uns mögen sich fragen, warum Menschen für ein politisches Amt kämpfen, obwohl die Arbeit gross und der Ertrag eher klein ist. Doch Politik ist eben auch ein gutartiges „Virus“, das besonders Menschen ansteckt, die Spass an der Auseinandersetzung haben können, die gerne nach guten Lösungen suchen und auch bereit sind, um einen wichtigen Konsens zu ringen. Politik ist in dem Sinne auch ein Spiel, und Verlieren zu können gehört ebenfalls dazu. Nur wer mit Kopf und Herz bei der Sache ist, kann Parteigrenzen überwinden und den Respekt der Gegner gewinnen.

Und die Resultate? Nach 8 Jahren im Amt ist diese Frage mehr als berechtigt. Was haben wir gemacht, was erreicht? Sicher viel geredet – Parlament kommt ja schliesslich vom Wort „parlare“-, Berge von Akten studiert, unzählige Fragen gestellt, wichtige Voten vorbereitet und für die gute Sache gekämpft. Bereits dreimal war ich Mitinitiantin einer Volksinitiative: Die erste, „Chancen für Kinder“ zur Vermeidung von Familienarmut durch gezielte Ergänzungsleistungen, wurde vor drei Jahren abgelehnt. „Uferwege für alle“ werden wir in drei Wochen einreichen und in Vorbereitung steht die neue Volksinitiative „Strom für morn“

Im Kantonsrat setze ich mich für gute öffentliche Schulen ein: Ich wehrte mich gegen die Abschaffung von „Biblische Geschichte“ als Schulfach und gegen die Kürzung des Handarbeits- und Hauswirtschaftsunterrichts. Ich bin gegen die ersatzlose Streichung der hauswirtschaftlichen Fortbildungskurse und deshalb froh, dass das Referendum bereits zustande gekommen ist. 20‘000 Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben unterschrieben. 3’000 Stimmen wären nötig gewesen. Eingesetzt habe ich mich auch für die Erhaltung der mündlichen Einvernahme jugendlicher Straftäter. Denn eine per Post zugestellte Verwarnung scheint mir für die Verhinderung weiterer Straftaten nicht besonders geeignet. Auch die Lehrerbildung, deren Entwicklung ich mit Sorge betrachte, liegt mir sehr am Herzen. In den letzten Jahren richtete ich mich vermehrt auch auf Umweltfragen und erneuerbare Energien aus. Mit anderen Kantons- und Gemeinderäten zusammen gründeten wir „Zürich Erneuerbar – Verein für Energieeffizienz und erneuerbare Energien“. Als Gründungspräsidentin freut mich die parteiübergreifende Zusammenarbeit besonders. Weniger Energie brauchen und diese aus erneuerbaren Quellen gewinnen - um dieses Ziel zu erreichen, braucht es alle Kräfte im Land. Nach der Überweisung meines Postulats, das die Reduktion des CO2-Ausstosses um jährlich 3% fordert, ist ein gewisser Optimismus berechtigt. Zumal es mit der Aktion „100 Solardächer jetzt“ gelungen ist, dieses Ziel im Weinland innert zwei Jahren zu erreichen. Ausserdem konnten wir uns vergangenen Sommer während der Veranstaltungsreihe „Unterwegs zu einheimischen Energien“ selber vergewissern, welche grossen energietechnischen Fortschritte in unserem eigenen Bezirk zu verzeichnen sind. Sie schaffen Einkommen wie Auskommen. Und mit der Bewegung „Energieregion Knonaueramt“ sind wir hier ebenfalls auf gutem Wege.

So macht es wirklich Spass, in der Politik tätig zu sein. Mitdenken, Mitgestalten und sich für eine gute Sache einsetzen. Und wenn dann im Zug ein fremdes Vis-à-vis zu mir sagt: „He, dich kenne ich doch!“, gibt das ein Gefühl von Vertrautheit und Vertrauen. Solche kleinen Begegnungen und die vielen Rückmeldungen gehören zu den schönen Seiten der politischen Arbeit, die mir Mut machen und Kraft für meine politische Arbeit verleihen.

                                                                  Lisette Müller-Jaag Kantonsrätin EVP, Knonau


 
  14-Feb-2011 aktualisiert